Schleichwerbung ist Korruption. Was ist Native Advertising anderes?
Die Werbung der Bunten für Weight Watchers zum Nachteil der CDU-Frau Julia Klöckner sorgte für Schlagzeilen. Die Öffentlichkeit kennt dafür den Begriff „Schleichwerbung“ – die Werbung „schleicht“ sich also in die Redaktion herein, nicht sichtbar, intransparent, heimlich. Bezahlte Inhalte in Medien werden nicht als solche gekennzeichnet.
Ich halte den Begriff „Schleichwerbung“ für eine Verharmlosung. Es handelt sich um korruptes Verhalten, also um Korruption. Punkt.
Der Pressekodex benutzt den Begriff „Schleichwerbung“ in seiner Ziffer 7 und den zugehörigen Richtlinien.
Leser und Nutzer von Presseerzeugnissen sollen diesen vertrauen können. Das ist die Intention des Pressekodex. Vertrauen lebt von der Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit entsteht aus positiven Erfahrungen mit dem Medium und der Publikation aus der Vergangenheit in dem Vertrautheit entstanden ist. Dazu gehört auch die erforderliche Transparenz, die der Pressekodex durch die strikte Trennung von Redaktion und Werbung vorsieht. Zu Ziffer 7 heißt es:
„Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden.“
Da der durchschnittlich intelligente Leser oder Nutzer kaum Möglichkeiten hat, die Redlichkeit redaktioneller Inhalte und der Redakteure zu prüfen, unterliegt er der Veröffentlichungsmacht des „Mediums seines Vertrauens“. Wenn diese Macht, die eine Redaktion gegenüber dem Leser hat, zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines Dritten missbraucht wird, dann handelt es sich schlicht um Korruption. So definiert Transparency International dies:
„Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.“
‚Korruption‘ kommt ursprünglich aus dem lateinischen ‚corruptio‘ und bedeutet ‚Zerrüttung, Zerstörung‘. Es wird seit dem 17. Jahrhundert aber im Sinne von ‚Verderbtheit‘ und ‚Bestechung‘ genutzt. ‚Macht‘ meint ja nicht nur umgangssprachlich ‚Stärke‘ sondern vor allem das Vermögen, das Mögliche wirklich zu machen, d.h. den eigenen Willen auch gegen den Willen anderer durchzusetzen.
Es geht vor allem um die Werthaltungen, mit denen VerlegerInnen, Verlage, ChefredakteurInnen und JournalistInnen antreten. Es geht um ihre Überzeugungen. Es geht nicht um das Motto „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“. Es geht nicht um juristische Formulierungen, sondern um ethische Grundhaltungen. 200 Jahre nach Immanuel Kant und dem kategorischen Imperativ sollten das die Verantwortlichen verstanden haben. Wenn nicht, dann sollten wir denjenigen aber auch mit aller Härte der Sprache entgegen treten: als Bestechliche und Korrumpierbare. Die weiteren Assoziationen dazu sind dann Schmiergeld, Erpressung, Bestechung, Vorteilsnahme usw. „Schleichwerbung“ jedoch hört sich zu harmlos an, um den Beteiligten ihre Verantwortung klarzumachen, die sie gegenüber dem Leser haben.
Mit der Korrumpierung geht zudem eine Ab-Wertung und Herabsetzung des Mediums und einer publizistischen Marke einher. Diese Abwertung kommt auch zustande, wenn keine aktive oder passive Korruption, keine offensichtliche Schleichwerbung und keine „Gefälligkeiten“ gegeben sind. Dazu reicht es schon, wenn statt von „Anzeige“ oder „Werbung“ von „präsentiert durch“ und „sponsored by“ die Rede ist. Die Integrität geht verloren und eine damit einhergehende Abwertung der Inhalte sorgt dafür, dass die Beziehung zwischen RedakteurIn und Leser immer mehr verloren geht. Warum soll ein Leser regelmäßig dafür bezahlen, sei es mit Cash oder mit Aufmerksamkeit für die Werbung? Der Inhalt ist ja nicht das wert, was er als wertvoll erwartet.
„Wofür stehst Du?“
Das ist die Kernfrage allen Vertrauens, die Kernfrage für alle Marken, die Kernfrage jeder Selbstvermarktung. Die Kernfrage, die ein aufgeklärter Leser in einer gebildeten Gesellschaft an jedes Medium, jede Publikation und jeden darin tätigen Journalisten bzw. Journalistin stellt.
Die Verleger der Nachkriegszeit wollten natürlich Geld verdienen, aber sie hatten auch einen inneren publizistischen Wertekompass und eine journalistische Maxime. Heute lautet die Maxime: Geld verdienen und die Redaktion wird als Kostenträger betrachtet, nicht als Sprachrohr einer eigenen verlegerischen Maxime mit dem Blick auf die Gesellschaft und deren Protagonisten in Politik, Wirtschaft oder Kultur. Und wenn es sein muss, dann halt mit „Schleichwerbung“ oder „Na(t)ive Advertising“.
Dumm nur: Vertrauen kommt langsam, aber geht schnell. Der ADAC-Motorwelt-Ramstetter hat dafür nur ein paar Tage gebraucht. Der Mensch, das hat uns die Forschung mit der Prospekt Theory eindrücklich bewiesen, zieht instinktiv den kleinen schnellen Gewinn, dem langfristigen hohen Gewinn vor. So wird das Handeln einiger Medienmacher zwar nachvollziehbar, aber es macht es nicht professioneller. Im Gegenteil der kurzfristige Gewinn entpuppt sich langfristig als Verlust. Und so schliesst sich der Kreis: Handeln können heisst, entscheiden können. Und freies Entscheiden heisst, verzichten können. Oder wie schon mein alter, lebensweiser Berufsschullehrer während meiner Bankausbildung so treffend sagte: „Konsumkredite? Sie essen Ihr Brot von morgen“. Mit der Korruption ist es ähnlich.