Werbung im Auto
Das Auto wird ans Datennetz angeschlossen. Google hat die Open Automotive Alliance ins Leben gerufen. Und es ist das Thema der diesjährigen CES. Für die Werbung ist es The Next Big Thing. Wo Medien sind, ist auch Werbung.
Das Geschäftsmodell von Google ist cloudbasierte kostenlose Software gegen Werbeexposition. Es ist jetzt schon klar, dass Werbung und E-Commerce in die vernetzten Systeme der Automobile eingebaut werden wird: egal ob Apps, Glasses, Web, Movies oder Audio-Dienste. Fahrer und Beifahrer werden nur bedingt abschalten oder zappen können. (Near) Self Driving Cars erfordern in Zukunft immer weniger Aufmerksamkeit. Diese wird dann mobilen Unterhaltungs- und Informationsdiensten gewidmet. Das macht diese Milliarden zählende Zielgruppe für die Werbe- und Mediaindustrie interessant. Dabei werden der nächstgelegene Restaurant-Tipp oder das Audiobook nur die trivialsten aller (Werbe-)inhalte sein. Verkauft wird den Konsumenten, den Herstellern und den Gesetzgebern diese schöne neue Welt mit „mehr Sicherheit“, „besseren Automobilen Services“ oder einem verbesserten „Traffic Management“.
Und die Automobilhersteller? Sie werden eine gänzlich neue Geldquelle rund um das Thema „Mobilität“ auftun. Was in der Oberklasse noch als Aufpreis bezahlbar sein wird, das werden sich weniger bemittelte automobile Mittelklasse- und Kleinwagen-Fahrer mit Werbung finanzieren lassen: die opulenten Bildschirme für Mitfahrer, die High End HiFi-Systeme mit Playlists für Musikstreamings oder die Shopping-Hinweise anstelle von Verkehrsnachrichten im Traffic Channel. Warum soll der Fahrer im Stau nicht mal eben ein Game mit seinem Head-Up-Display machen, während die Assistenzsysteme den Abstand zu anderen Autos kontrollieren und steuern.
Die aus der Werbung resultierenden Deckungsbeiträge sind einfach zu verlockend, wenn Technik, Netze und Medienerlebnisse im Auto vorhanden sein werden. Das Innere des Autos war bisher werbefreie Zone – soweit man das Radio ausgeschaltet liess. Schöne neue Welt?
Misstraut den Agenturen
Wenn ich so die aktuellen Wirtschafts- und Fachmedien und deren Berichterstattung über die Gedanken, Zukunftserwartungen und Strategien über das Marketing- und Medienbusiness der handelnden Protagonisten verfolge, dann stelle ich eine große Orientierungslosigkeit in Agenturen oder auch bei Vermarktern fest.
Heute stellvertretend: Laura Desmond, weltweite Chefin der Agentur Starcom Media Vest Group (SMG). Ein Interview mit der 48-jährigen gestandenen Mediamanagerin, die 40 Mrd. US-Dollar Mediabudget verwaltet, steht in der heutigen Ausgabe des ‚Handelsblatts‘ auf Seite 18 – leider noch nicht online (Aktualisierung: Das Interview aus dem Handelsblatt steht jetzt unter absatzwirtschaft.de).
Buzzwords und Thought Bubbles
Die Antworten von Laura Desmond sind voll mit allen Buzzwords und Thought Bubbles, die die Marketingbranche derzeit verunsichern. Hier meine Top 10 des Interviews:
- Massenkommunikation ja, aber auch Individualisierung der Kommunikation, man solle an Facebook und Twitter denken.
- „Wir haben ein „Social Television Lab“ gegründet, in dem wir beobachten, wie Konsumenten TV und Twitter parallel nutzen.“
- Die Generation Y kommuniziert anders; man arbeite kooperativ mit Twitter und Instagram an neuen Werbeformaten.
- Junge Menschen nutzen immer weniger Facebook, aber immer mehr Instagram. Dieses bietet ein enormes Wachstumspotential.
- In einem „Content-Studio“ fertigt man gemeinsam mit Yahoo Inhalte für Werbekunden an.
- Inhalte, die Markenbotschaften transportieren und in Echtzeit im Internet ausgeliefert werden.
- Werbetreibende Unternehmen wandeln sich zu Medien: „Mit unserem Content-Marketing-System ‚link.d3‘ durchsuchen wir für unsere Kunden das Internet nach relevanten Inhalten. Das ist ein großer Trend.“
- „Mediaagenturen müssen künftig beide Geschäftsfelder abbilden: die Distribution von Werbung sowie das Erstellen von Content-Marketing.“
- Agenturen müssen in Big Data investieren.
- Man müsse bei der Technologie aufpassen, dass man nicht den Menschen vergesse.
Es ist diese Mischung aus Allem und irgendwie Nichts. In diesen Gedanken und Partnerschaften mit Twitter, Facebook und Yahoo! steckt keine robuste Idee, wie man die Menschen zum Kauf von Gütern und Dienstleistungen bringen kann.
Nur mal so angenommen, mehre „Freunde“ der „Generation Y“ „unterhalten“ sich auf „Instagram“ über ihre Unterhaltungselektronik. Glaubt wirklich jemand, durch „Big-Data-Analyse“, die „Erstellung“ von „Markenbotschaften“ in einem „Content-Studio“ und die „Echtzeit-Auslieferung“ bei gleichzeitigem „Second Screening“ – natürlich in „Echtzeit“ – durch die „Realtime“-Ersteigerung von Werbeplätzen lassen sich verhaltensrelevante, also kaufrelevante Werbeinformationen platzieren? Die Betonung liegt auf „verhaltensrelevant“.
Der Onlinevermarkterkreis OVK im BVDW hat in einer Studie doch glatt festgestellt: „Ob digitale Kampagnen in Premium-Werbeumfeldern wahrgenommen werden, ist knapp zur Hälfte (47 Prozent) auf den Faktor Kreation zurückzuführen.“ Aahh ja. Die Werbewirkungsforschung hat vor 50 Jahren diese Erkenntnis auch schon gehabt (und die anderen 50% hängen mit der konkreten Wahrnehmungssituation zusammen), und man fragt sich tatsächlich, was haben diese Werbemenschen gelernt, studiert oder in der beruflichen Werbepraxis erfahren?
Wer mit der Intelligenz der Agenturen rechnet, ist im Nachteil
Misstrauen Sie diesen orientierungslosen „Experten“ und diesen „Trends“. Bilden Sie sich Ihre eigenen Gedanken, lassen sie sich nicht verunsichern. Mit einem Punkt hat Laura Desmond allerdings recht: Vergessen Sie den Menschen nicht. Aber dazu hat sie keine Ideen entwickelt.
Denn dazu braucht es Empathie, das Wissen um menschliche Bedürfnisse und Emotionen und spezielles Marketing-Knowhow für eine erfolgreiche verhaltensrelevante Umsetzung. Die Agenturen müssen dann die richtigen Andockstellen für Marken herausfinden, um konkrete Handlungs-/Kauf-Reize auszulösen. Das ist den Agenturen vor lauter Trends und Technik scheinbar abhanden gekommen.
Werbekennzeichnung, Huffingtonpost.de und Native Advertising
Obwohl ich nun seit vielen Jahren nicht mehr als Anzeigenleiter tätig bin (das war ich jahrelang bei verschiedenen renommierten Tageszeitungen wie dem Handelsblatt), erfasse ich intuitiv wohl immer noch die rechtmäßige Trennung von redaktionellen und werblichen Inhalten in journalistischen Publikationen. Mit Werbung sieht es auf der Huffingtonpost.de am Tag eins nach dem Deutschlandstart noch recht mau aus. Okay, die üblichen Verdächtigen wie Nokia oder Sparkasse sind mit Wallpaper-Formaten dabei. Auch die unvermeidlichen Blockanzeigen von Performance-Marketing-Anbietern sind schon dabei.
Mit den immer schlechter performandenen Display-Anzeigen, was die die Click Through Rates betrifft, ist „Native Advertising“ seit einiger Zeit in den Focus gerückt. Frei übersetzt mit „natürliche Werbung“ sollen sich diese Formate in Format und Gestaltung dem Umfeld der Plattform anpassen, um so nicht mehr als störend aufzufallen, sondern in die „Experience“ des Nutzers passen. Es geht um redaktionell gestaltete Anzeigen. Andere Begriffe in Fachkreisen lauten auch „Advertorial“, „Promotion“, „Adverticle“, „Anzeigensonderveröffentlichung“, „Content Marketing“ oder manchmal auch Schleichwerbung, wenn die Kennzeichnung nicht ausreichend ist. Dazu komme ich gleich bei der Huffington Post noch.
Während Google seine Suchanzeigen klassisch mit dem Wort „Anzeige“ kennzeichnet, sind Facebook und Twitter zu „Promoted Ads bzw. Tweets“ übergegangen. Als Überbegriff gibt es auch die anglistische Bezeichnung „Sponsored Ads“. Und genau so kennzeichnet die deutsche Huffington Post eine Werbung für die wunderschöne Seychelleninsel Insel Nothern Island. Sie ist gekennzeichnet mit „Sponsored Post“:
Klickt man auf die Anzeige, dann kommt man hierhin. Sieht doch ziemlich nach Redaktion aus:
Nun sagt § 4 Nr. 3 UWG: „Unlauter handelt, wer den Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen verschleiert.“ Eine Verschleierung liegt demnach vor, wenn das äußere Erscheinungsbild einer geschäftlichen Handlung so gestaltet wird, dass die Marktteilnehmer, also die Leser und Plattform-User, den geschäftlichen Charakter nicht klar und eindeutig erkennen. Das gilt insbesondere dann, wenn redaktionelle Werbung vorliegt oder die Werbung redaktionell getarnt ist. Im Zweifel ist der Inhalt deutlich lesbar mit dem Wort „Anzeige“ zu kennzeichnen, wenn der Durchschnittsverbraucher die Werbung als solches nicht erkennt. Die UWG-Kommentare und die Rechtsprechung sind in diesen Fällen ziemlich eindeutig.
Das Werbe- und Presserecht ist in Deutschland halt ein anderes. Und so ist es nicht so einfach, amerikanische Gepflogenheiten von Nachrichten-Newcomern auf Deutschland zu übertragen. Und das finde ich gut so.
Native Advertising: neues Wort für alte Schläuche
Native Advertising ist ein wesentlicher Teil des Geschäftsmodells der Huffington Post. Sie spielt für die zukünftigen Wachstumsphantasien eine große Rolle. Mir geht’s aber nicht einzig um die Huffington Post. Mir geht es um den „Faustian Pact“, wie der Managing Editor des Wall Street Journals, Native Advertising charakterisiert. Es ist diese Verlockung mit Werbung, also gekaufter Kommunikation (Paid Media), durch wenig bis null Zutun bzw. Aufwand viel Geld einzunehmen. Diese Wirkung ist wie eine Droge. Am Anfang macht sie high, bunt und unbesiegbar. Wenn der Rausch vorbei ist, dann kommen die Kopfschmerzen und Abhängigkeiten. Es ist diese Droge „Werbung“, die als Geschäftsmodell immer mehr Angebote für die Leser kostenlos macht. Medien beklagen die „Kostenloskultur“ (ein Un-Wort), aber die Droge nehmen sie alle gerne. Diese Droge „Kostenlos, weil werbefinanziert“ ist so verführerisch. Kostenlos wird für die Nutzer mit wirklich tollen Angeboten verknüpft: Von Google über Facebook bis hin zu hochwertigem Qualitätsjournalismus oder minderwertigem Boulevard. Mangelnder Datenschutz und in Abhängigkeit entstandene Inhalte, die uns als Unabhängig verkauft werden, sind die Nebenwirkungen. Und in Verbindung mit staatlicher Überwachung von (einigen) Bürgern zerfrisst uns diese Droge wie Chrystal Meth es körperlich tut langsam von innen. Ich weiß, ein krasser Vergleich, Werbung und kostenlose Angebote miteinander in Verbindung zubringen. Aber ist es nicht so?
Hier das Handelsblatt, das Geld von General Electric erhält.
Bei der Welt nennt es sich „Welt-Dialog“ und ist klitzteklein korrekt gekennzeichnet, aber dem Leser was unterzuschieben, was nach Redaktion aussieht ist doch unverkennbar. Da gibt es sogar eine offizielle E-Mail-Adresse „finanzportal@welt.de“. Mir wird ganz bange, wenn ich an Oma klein Erna und ihre leichte Sehschwäche denke – denen sollen in der Vergangenheit ja auch Lehmann-Zertifikate angedreht worden sein:
Aber die WELT und Axel Springer haben da ja seit Jahren keine Hemmungen mit Volksprodukten und Advertorials. Und vor allem ist Peter Würtenberger, Vermarktungschef der Axel Springer AG, ein großer Anhänger von Native Advertising geworden, seit er aus dem Valley zurück ist.
Ursachen für verstärkte native Werbung
Je mehr alle glauben, wir würden in einer Aufmerksamkeits-Ökonomie leben, desto lauter, raffinierter, hinterhältiger brüllen sie. Schreien, um gehört zu werden. Und wenn alle schreien, schreien einige noch lauter, bis alle noch lauter schreien. Und dann?
Ja, Bekanntheit ist eine Voraussetzung für weitere Verhaltenswirkungen. Das gilt nicht nur im ökonomischen, sondern im gesamtgesellschaftlichen Umfeld. Aber wir haben alle gelernt, nicht der lauteste Marktschreier hat die schönsten Kartoffeln. Eher ist es umgekehrt. Je lauter, desto vorsichtiger sollte man über die Märkte gehen. Eines der wunderbarsten Videos stammt zu diesem Thema stammt von der Werbeagentur Scholz & Friends. Have a look:
Für eine substanzielle Markenkommunikation kommt es darauf an, eine Beziehung zwischen Kunde und Marke herzustellen. Dazu bedarf es eines klaren Markenkerns und einer klaren Botschaft. Die Consumer Neurosciences haben ja hinlänglich bewiesen, dass relevante Werbebotschaften auch implizit wahrgenommen werden. Bewusste Aufnahme der Werbebotschaft schadet nicht, ist aber nicht erforderlich, wenn die Werbung sozialtechnisch richtig gestaltet ist und die Markencodes stimmen.
Das Problem vieler Marken ist mangelnde Substanz. Das lässt sich mit Aufmerksamkeit alleine eh nicht lösen. Also Native Advertising um sich Relevanz und Substanz zu holen? Wenn ich schon nicht geklickt, gelesen oder gekauft werde, dann doch sicher, wenn ich mich an die Reputation des Werbemediums klammere. Ja? Nein! Es bringt nur die Leser in Rage, die der gewollten Verwechslung anheim fallen und es später merken. Es schadet der beworbenen Marke und es schadet dem Werbeträger. Und dem Kunden, aber der wird sich schon rächen. Adblocker, Markenverdruss, Beschwerden über soziale Medien.
Die Marken, die Medien und die Agenturen sollten erkennen, dass wir – auch Dank des Internets 2.0 – in einer Beziehungs-Ökonomie leben. Beziehungen finden auf Augenhöhe statt und funktionieren auf Basis der Gegenseitigkeit und nicht der Verarsche. Bitte alle nochmal das Cluetrain-Manifest lesen.