Der Mensch ist das Produkt geworden

Die Whatsapp-Übernahme zeigt jetzt auch dem letzten Zweifler einen Paradigmenwechsel auf: Der einzelne Mensch ist nicht mehr allein Adressat von Verkaufsbotschaften für geldwerte Ideen, er ist auch schon über das Stadium hinaus, zum Absender von Werbebotschaften geworden zu sein. Der Mensch ist das Produkt geworden.

Die 19 Mrd. US-Dollar werden in Relation zu den zur Stunde 450 Mio. Nutzern gerechnet: Macht durchschnittlich 42 Dollar/User hat das Handelsblatt heute errechnet (Printausgabe). Bei der linearen Hochrechnung der täglichen Wachstumsrate von 1 Mio. Nutzern kommt man bis Jahresende auf rund 23 Dollar/User: Das ist billig im Vergleich zu 141 Dollar, mit der ein Facebook-Nutzer bewertet wird. Ich gehöre nicht mehr zu Whatsapp, macht aber für Mark Zuckerberg und Jan Koum nichts: Ich hatte eh wenig Traffic mit der App, mein Adressbuch war überschaubar und so mein Datenwert in toto vielleicht ein paar Cent wert. Das sieht bei den Heavy Usern sicher anders aus.

Das ist der historische amerikanische Pragmatismus des „Wahr ist, was nützt“ – Nutzen bestimmt das Handeln. Noch (!) zahlt der Werbekunde bei Google vielleicht für die quantitative Anzahl der Suchvorgänge mit Keywords. Bald geht es auch um die Qualität der Suchenden. Im Customer Relationship Marketing ist der diskontierte Kundenwert, der Customer Lifetime Value, potentieller zukünftiger Käufe des Kunden schon normal. Die Wahrscheinlichkeitsrechnung der Big Data Cruncher macht’s möglich.

Die Daten von Nutzern in digitalen und sozialen Medien machen eine solche Kundenwertberechnung wahrscheinlich, wenn sie nicht schon läuft. Algorithmen rechnen dann in Echtzeit den aktuellen Kundenwert und versteigern den Einzelnen auf Realtime-Bidding-Börsen. Je mehr ein User selber kauft, liked, postet und tweetet oder über Native Advertising empfiehlt (Facebook Ads machen das so), und je mehr dieser Nutzer E-Commerce nutzt und je häufiger dieser User selber mit Käufen auf die Empfehlung anderer reagiert, desto größer ist sein Cash Value. Die Verfolgung von Customer Journeys ist das aktuelle Thema bei digitalen Händlern. In Zukunft wird nicht mehr der Cost per Click oder Cost per Order den Werbewert bestimmen, sonder der Cash Value per User.

So wird der einzelne Mensch selber zum Produkt. Statt verschämt von Customern, von Kunden, im Marketing zu sprechen, sollten wir von Humans, von Menschen, sprechen. Manche werden begehrenswerter als andere sein. Die Guten kommen ins Töpfen, die Schlechten…. Diejenigen mit einem hohen Cash Value stehen dann vielleicht auf digitalen Transferlisten – kennen wir ja alle von der Ware Fussballspieler. Die Data Supplier, wie sich die Datenauswerter und -händler nennen, kennen dann die Elastizität eines jeden von uns: wieviel Cash bringst du, wenn ich 100 Euro in dich investiere? Selbstvermarktung bekommt dann eine andere als die bisher übliche Konnotation. Die Daten-Avantgarde jenseits des Atlantik, die unglaubliche Kaufkraft der Big Five Google, Apple, Amazon, Facebook und Yahoo zusammen mit der Philosophie des Pragmatismus separieren dann die High Performer von den Low Performern. Ich will das nicht weiterdenken, aber ich weiß, ich werde mich dem nicht entziehen können. Die Zeiten einer Robinson-Liste gegen unerwünschte Direktmarketing-Aktionen sind niedlich gewesen in Zeiten von Vor-NSA-Technologien. Daten Menschen sind das neue Öl und es wird gehoben werden, da kennen sich die Amerikaner bestens mit aus, koste es, was es wolle – auch die Grundwerte einer Gesellschaft.

21. Februar 2014 von Thomas
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Schleichwerbung ist Korruption. Was ist Native Advertising anderes?

Die Werbung der Bunten für Weight Watchers zum Nachteil der CDU-Frau Julia Klöckner sorgte für Schlagzeilen. Die Öffentlichkeit kennt dafür den Begriff „Schleichwerbung“ – die Werbung „schleicht“ sich also in die Redaktion herein, nicht sichtbar, intransparent, heimlich. Bezahlte Inhalte in Medien werden nicht als solche gekennzeichnet.

Ich halte den Begriff „Schleichwerbung“ für eine Verharmlosung. Es handelt sich um korruptes Verhalten, also um Korruption. Punkt.

Der Pressekodex benutzt den Begriff „Schleichwerbung“ in seiner Ziffer 7 und den zugehörigen Richtlinien.

Leser und Nutzer von Presseerzeugnissen sollen diesen vertrauen können. Das ist die Intention des Pressekodex. Vertrauen lebt von der Glaubwürdigkeit. Glaubwürdigkeit entsteht aus positiven Erfahrungen mit dem Medium und der Publikation aus der Vergangenheit in dem Vertrautheit entstanden ist. Dazu gehört auch die erforderliche Transparenz, die der Pressekodex durch die strikte Trennung von Redaktion und Werbung vorsieht. Zu Ziffer 7 heißt es:

„Die Verantwortung der Presse gegenüber der Öffentlichkeit gebietet, dass redaktionelle Veröffentlichungen nicht durch private oder geschäftliche Interessen Dritter oder durch persönliche wirtschaftliche Interessen der Journalistinnen und Journalisten beeinflusst werden.“

Da der durchschnittlich intelligente Leser oder Nutzer kaum Möglichkeiten hat, die Redlichkeit redaktioneller Inhalte und der Redakteure zu prüfen, unterliegt er der Veröffentlichungsmacht des „Mediums seines Vertrauens“. Wenn diese Macht, die eine Redaktion gegenüber dem Leser hat, zum eigenen Vorteil oder zum Vorteil eines Dritten missbraucht wird, dann handelt es sich schlicht um Korruption. So definiert Transparency International dies:

„Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil.“

‚Korruption‘ kommt ursprünglich aus dem lateinischen ‚corruptio‘ und bedeutet ‚Zerrüttung, Zerstörung‘. Es wird seit dem 17. Jahrhundert aber im Sinne von ‚Verderbtheit‘ und ‚Bestechung‘ genutzt. ‚Macht‘ meint ja nicht nur umgangssprachlich ‚Stärke‘ sondern vor allem das Vermögen, das Mögliche wirklich zu machen, d.h. den eigenen Willen auch gegen den Willen anderer durchzusetzen.

Es geht vor allem um die Werthaltungen, mit denen VerlegerInnen, Verlage, ChefredakteurInnen und JournalistInnen antreten. Es geht um ihre Überzeugungen. Es geht nicht um das Motto „Was nicht verboten ist, ist erlaubt“. Es geht nicht um juristische Formulierungen, sondern um ethische Grundhaltungen. 200 Jahre nach Immanuel Kant und dem kategorischen Imperativ sollten das die Verantwortlichen verstanden haben. Wenn nicht, dann sollten wir denjenigen aber auch mit aller Härte der Sprache entgegen treten: als Bestechliche und Korrumpierbare. Die weiteren Assoziationen dazu sind dann Schmiergeld, Erpressung, Bestechung, Vorteilsnahme usw. „Schleichwerbung“ jedoch hört sich zu harmlos an, um den Beteiligten ihre Verantwortung klarzumachen, die sie gegenüber dem Leser haben.

Mit der Korrumpierung geht zudem eine Ab-Wertung und Herabsetzung des Mediums und einer publizistischen Marke einher. Diese Abwertung kommt auch zustande, wenn keine aktive oder passive Korruption, keine offensichtliche Schleichwerbung und keine „Gefälligkeiten“ gegeben sind. Dazu reicht es schon, wenn statt von „Anzeige“ oder „Werbung“ von „präsentiert durch“ und „sponsored by“ die Rede ist. Die Integrität geht verloren und eine damit einhergehende Abwertung der Inhalte sorgt dafür, dass die Beziehung zwischen RedakteurIn und Leser immer mehr verloren geht. Warum soll ein Leser regelmäßig dafür bezahlen, sei es mit Cash oder mit Aufmerksamkeit für die Werbung? Der Inhalt ist ja nicht das wert, was er als wertvoll erwartet.

„Wofür stehst Du?“

Das ist die Kernfrage allen Vertrauens, die Kernfrage für alle Marken, die Kernfrage jeder Selbstvermarktung. Die Kernfrage, die ein aufgeklärter Leser in einer gebildeten Gesellschaft an jedes Medium, jede Publikation und jeden darin tätigen Journalisten bzw. Journalistin stellt.

Die Verleger der Nachkriegszeit wollten natürlich Geld verdienen, aber sie hatten auch einen inneren publizistischen Wertekompass und eine journalistische Maxime. Heute lautet die Maxime: Geld verdienen und die Redaktion wird als Kostenträger betrachtet, nicht als Sprachrohr einer eigenen verlegerischen Maxime mit dem Blick auf die Gesellschaft und deren Protagonisten in Politik, Wirtschaft oder Kultur. Und wenn es sein muss, dann halt mit „Schleichwerbung“ oder „Na(t)ive Advertising“.

Dumm nur: Vertrauen kommt langsam, aber geht schnell. Der ADAC-Motorwelt-Ramstetter hat dafür nur ein paar Tage gebraucht. Der Mensch, das hat uns die Forschung mit der Prospekt Theory eindrücklich bewiesen, zieht instinktiv den kleinen schnellen Gewinn, dem langfristigen hohen Gewinn vor. So wird das Handeln einiger Medienmacher zwar nachvollziehbar, aber es macht es nicht professioneller. Im Gegenteil der kurzfristige Gewinn entpuppt sich langfristig als Verlust. Und so schliesst sich der Kreis: Handeln können heisst, entscheiden können. Und freies Entscheiden heisst, verzichten können. Oder wie schon mein alter, lebensweiser Berufsschullehrer während meiner Bankausbildung so treffend sagte: „Konsumkredite? Sie essen Ihr Brot von morgen“. Mit der Korruption ist es ähnlich.

19. Februar 2014 von Thomas
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Rotten Business: Gekaufte Redaktion

Der Bundesgerichtshof hat gestern nochmals in einer Entscheidung klargestellt, was vorher rechtlich schon klar war, aber was Geschäftemacher nicht abhält: Gekaufte Redaktion muss klar mit dem Wort „Anzeige“ gekennzeichnet werden und sich auch formal für den Leser erkennbar abheben. Ich habe vor wenigen Wochen ja schon dazu ausführlich gebloggt.

Ich fand dieses Abwägen, was ist Redaktion und was ist gekaufte Redaktion, also Anzeige, schon immer zum kotzen. 15 Jahre lang lief ich als Verantwortlicher für das Anzeigengeschäft zu den Chefredakteuren, wenn ein Kunde eine PR-Agentur Texte gegen Geld unterbringen wollte. Da bettelst du als Depp um einen Termin, um die Chance auszuloten. Obwohl Du weisst, das es gegen das UWG und das Presserecht verstösst, gehst du hin. Der Kunde droht ja mit teils heftigen Umsatzchancen. In den rezessiven Zeiten machen Werbeverkäufer Druck, denn sie wollen ihre Provisionen und Boni, da machen die Kollegen Druck („Haben Sie’s überhaupt richtig versucht? – Betonung liegt auf „richtig“), weil sie um ihre Jobs fürchten, wenn die Umsätze weiter rückläufig sind. Und die verantwortlichen Redakteure haben genauso innerlich gekotzt. Völlig zu Recht, weil die Rechtslage ja klar war und sie eine Überzeugung haben. Aber auch sie standen unter Druck, den Niedergang des Geschäftsmodells nicht freiwillig zu befeuern, den Redaktionskollegen in der großen Runde mal wieder zu erklären, warum die Etats gekürzt werden. Oder manchmal auch, um einem befreundeten Ex-Kollegen, der jetzt in der PR-Agentur oder in der PR-Abteilung sitzt, nicht in den Rücken zu fallen.

Und nun ja, da gab es eben Verleger und Beauftragte des Verlegers, die sich natürlich „eingemischt“ haben. Sei es, dass die Lebensgefährtin des Redakteurs als PR-Beraterin Geschäfte mit solchen Kunden machte und diese gar zu offensichtliche Reissleine gezogen werden musste. Sei es, dass zu hart ablehnende Redakteure dann mal ins Gebet genommen wurden oder ein Eintrag ins „goldene Büchlein“ erfolgte.
Anschliessend wurde dann ich ins Gebet genommen: „Lassen Sie sich was einfallen, sei Sie doch mal kreativ oder können Sie nicht richtig verkaufen?“. Ich hätte kotzen können.

Gut. Es gibt eben die Grauzone, die dann „Sonderveröffentlichung“ heißt oder „präsentiert von“ und der Kunde mit einem Vorwort, Grußwort, Interview des großzügigen Sponsoren bedacht wird. Es gibt auch die „sponsored posts“ einer Huffington Post die sich vom redaktionellen Look & Feel nicht unterscheiden lassen. Oder die „Gastbeiträge“ des Wolfram Weimar Mediums „Börse am Sonntag“. Diese fallen durch besonders kritisches interviewen auf. Zitat: „BaS: ActivTrades zählt zu den erfolgreichen CFD-Brokern. Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Gründe für das starke Unternehmenswachstum?“

Das funktioniert auf drei Wegen: Erstens, derartige Beiträge sind direkt bezahlt (Beispiel wieder von der Börse am Sonntag hier), aber nicht gekennzeichnet, also die ganz harte Nummer. Zweitens die Beiträge sind indirekt bezahlt, weil in der identischen oder nächsten Ausgabe eine Anzeige steht (Sorry Börse am Sonntag, schon wieder Ihr hier am Beispiel Wikifolio) oder drittens, der Beitrag wird nicht als „Anzeige“ gekennzeichnet, sondern als „in Kooperation mit“.

Das nenne ich die Push-Mechanik. Der Kunde lockt mit Umsätzen. Ein wesentliches Geschäftsfeld ist dieses für kleine Verlage mit spezialisierten Fachtiteln. Da sind ja meist Branchenberichte und Kunden identisch. Es ist das Geschäftsfeld der Sonderthemen auch für etablierte Qualitätstitel. Auf diesen Modellen basiert auch ein Großteil der Anzeigenblätter (wie im oben geschilderten BGH-Urteil), ferner die ganzen Mode- und Lifestyle-Magazine. Hier lassen sich Redaktion und gekaufte Redaktion bzw. Anzeigen nicht mehr unterscheiden. Branchenüblich ist hier die Kennzeichnung als „Promotion“.

Der ADAC ist jetzt mit fingierten Leserwahlen aufgefallen. Würden die investigativen Redakteure mal bei den ganzen Auto- und Technikzeitschriften recherchieren, dann möchte ich nicht wissen, was da herauskommt. Aber auf Nestbeschmutzung darf man nicht setzen. Da braucht es mal einen Typ „Snowden“. Anmerkung am Rande: Ich flehe die Stiftung Warentest an: Lasst alles, alles mit rechten Dingen zugehen!

Ganz dreist sind sind manchmal auch „Dossiers“ und „Specials“. Zum Beispiel von „Capital“ im Januar 2014. Das Thema: „Ihr persönlicher Rentenplan“. Einziger Anzeigenkunde: ERGO. Motive: „ERGO Rente Garantie“ und „Wir beraten Sie“. Ziel: Agenda Setting. Formaljuristisch: kein offensichtlicher Verstoß gegen die Paragraphen. Faktisch aber gekaufte Redaktion oder die Doppelmoral der im Impressum genannten Verantwortlichen.

Dossier Rente Capitel 01/2014

Dann gibt es noch die Pull-Mechanik: Der Kunde droht mit Umsatzstorno und Verlag und Redaktion gehen gemeinsam zur Wiedergutmachung mit Interviews oder Beiträgen in einer der folgenden Ausgaben über.

Einen ganz drastischen Fall von Thyssenkrupp habe ich ja hier schon kurz beschrieben. Das geht im Prinzip so: Entweder wird sich offen über einen kritischen Artikel beschwert und weitere Werbeschaltungen werden storniert, was in die Hunderttausende gehen kann, oder aber es herrscht Schweigen, nur das der Titel im nächsten Werbeflight nicht mehr dabei ist und keiner weiss erstmal so genau warum, bis die ersten Hinweise „geleakt“ werden, meist von der Mediaagentur

To make a long story short: Viele Medien mit Redaktionen und Werbevermarktern sollten sich beim Thema Korruption, Ethik und Moral an die eigene Nase fassen. Aber ich habe auch Titel und Verantwortliche mit klarer Haltung und Kante erlebt.
Asche auf mein Haupt: Ich blicke ebenfalls rückwirkend kritisch auf mein eigenes Gebaren bei so manchem Fall oder „kreativen Einfall“ zurück.

Heute bin ich überzeugt: Nur Verleger und Redakteure (siehe auch die Umfrage von Online-Redakteure beim „Journalist„) mit klarer Haltung werden überleben in diesem Krieg um öffentliche Wahrnehmung in einem Rotten Business. Brandeins titelt aktuell so wunderbar: „Kauf, Du Arsch“. Übersetzt könnte man sagen: „Lies, Du Arsch“.

Ich überlege eine gemeinnützige Transparenz-Initiative zu starten. Ähnlich Transparency International sollte es einen Korruptionsindex für Qualitätsmedien geben, der jährlich veröffentlich wird und den Lesern in einem Ranking zeigt, wie unabhängig Redaktionen wirklich sind und dem Leser/Hörer/Zuschauer zu dienen. Wer macht mit?

07. Februar 2014 von Thomas
Kategorien: Allgemein, Geschäftsmodell, Qualitätsjournalismus, Werbung | Kommentare deaktiviert für Rotten Business: Gekaufte Redaktion

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