Blendle: Wie funktioniert der Verkauf einzelner journalistischer Artikel (nicht).
Vor zwei Wochen verkündete Blendle aus den Niederlanden die Beteiligung von Springer AG und New York Times. Über das E-Commerce Portal Blendle.nl können einzelne journalistische Artikel verkauft werden. Es ist die realisierte Sehnsucht einiger Medienmenschen nach dem iTunes für Journalismus.
Warum wird das nicht funktionieren? Jedenfalls nicht so, wie erhofft?
Widmen wir uns kurz der volkswirtschaftlichen Gütertheorie. Medienprodukte sind Erfahrungs- und Vertrauensgüter. Vor dem Kauf besteht eine Unsicherheit über die Qualität ihrer Inhalte. Der Leser muss die Informationen erst aufnehmen, um dann beurteilen zu können, ob er das erhalten hat, was er erwarten konnte. Eigentlich kann er die Qualität von Informationen aber nicht ex post beurteilen, denn es herrscht auch noch eine Informationsasymmetrie. Der Autor, in unserem Fall der Journalist, weiß immer mehr als der Leser (vielleicht hat er ja seinen Ehrenkodex missachtet und eine vermeintliche Tatsache gefaked – soll’s ja geben). Entscheidend ist dann das Vertrauen in den Absender.
Die großen vertrauenswürdigen Medienanbieter bündeln ihre Angebote zu Informations-, Meinungs- und Unterhaltungs-Bouquets. Ich kann mich bei einem Spiegel, einem Handelsblatt oder einer ZEIT eben auf eine gewisse, stets subjektiv wahrgenommene Qualität verlassen. Unabhängig vom Autor, weil die Absendermarke über die Zeit zu einer Marke geworden ist, der man vertraut und mit der man vertraut ist. Weiterlesen →
Ist die Zeitungskrise eine Sinnkrise?
In Zeiten großer Krisen (9/11, Iran-, Irak-, Afghanistankriege, Falklandkonflikt, Wende usw.) stieg die Nachfrage nach Nachrichten und Informationen über das politisch-wirtschaftlich-kulturelle Klima. Zeitungen ging es gut, Nachrichtensender entstanden.
Die Krisen der jüngeren Vergangenheit wie auch die aktuellen, führen anscheinend nicht zu krisenkonjunkturellem Wachstum von Auflagen der Zeitungen und auch die Nachrichtensender glänzen nicht mit höheren Sehbeteiligungen.
Liegt das nur an der Popularität digitaler Medien?
Krisenzeiten sind Zeiten der Angst: mein Leben, mein Geld, mein Familie? Die ältere Generation wird Flashbacks bekommen. Die Jüngeren sagen sich vielleicht „does not effect me“ und überfliegen die Kriegsgebiete „ab-in-den-Urlaub“. Und die Unternehmer heucheln mit Arbeitsplatzverlust und dem Verlust der Innovationsfähigkeit, wenn Kriegswaffenexporte in diese Krisengebiete on hold gestellt werden.
TTIP und TISA? NSA und Datenklau? In der Breite der Bevölkerung stellt man Schulterzucken fest und eine „hab-nichts-zu-verbergen“-Einstellung, Psychoanalytiker würden von „Verdrängung“ sprechen.
Die EU driftet auseinander, behutsam aufgebaute Bündnisse Richtung Russland und Eurasien zerfallen im Tagesrythmus.
Angst und Furcht begegnet der Mensch auf natürliche Art mit dem Fight-Flight-Freeze-System. Derzeit erscheint es mir, als würde alles im Gewohnten erstarren. Dabei steht das Wertesystem der europäischen Kultur und damit der Werttreiber des westlichen Wohlstands auf dem Spiel.
Und die großen Leitmedien? Scheinen mit sich selbst beschäftigt zu sein: Spiegel, KaiBILDmann, FAZ.
Frank Schirrmacher, wie vermisse ich Dich. Nicht weil ich immer mit Dir konform gegangen bin, aber weil Du etwas verkörpert und in Deinem Schaffen ausgelebt sowie kommuniziert hast: Sinn und Werteorientierung. Vielleicht ist es das, was die Menschen bei den Medien vermissen. Sinn, Werte und Haltung sind die Attribute, die in einer Medienmarke und ihrer Markensubstanz stecken.
Das gute Image einer Medienmarke entsteht aus der selbst gewählten Identität mit den damit verbundenen Werten, den daraus folgenden glaubwürdigen Handlungen und Haltungen sowie der Integrierbarkeit in aktuelle und allgemein gültige Normen und Werte einer Gesellschaft. Der Journalismus sollte sich dessen wieder besinnen.
Der postmoderne Mensch steckt in seiner ICH-Orientierung und einer entgrenzten gleichwohl fiktiven Wirklichkeit fest. Alles kann, nichts muss. Der Mensch bastelt sich sein Leben täglich wie es ihm gefällt. Aber das ist knapp unter der Wasseroberfläche der seelischen Tiefe. Weiter unten brodeln natürlich noch die Uremotionen der Furcht, Wut oder Trauer: Zu besichtigen in den täglichen Bildern aus Gaza, Ostukraine, Syrien oder dem Irak. Und mit diesen Emotionen brodelt auch das Bedürfnis nach Sicherheit, Schutz und Fürsorge. Alle Menschen haben eine Sehnsucht nach einem guten Zusammenleben in der Gemeinschaft, gleichwohl wissen sie, das andere Menschen Segen und Fluch zugleich sind.
Das menschliche Basismotiv nach Sicherheit ist verbunden mit dem Streben nach Geborgenheit und Stabilität. Angst und Unsicherheit will man vermeiden. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach Fürsorge; das kann man bei denen beobachten, die in ihrer Heimat gerade Verwandte und Freunde verlieren oder in Not sehen.
Um es klar zu sagen: Medien sollen keine unnötigen Ängste schüren. Diese Gefahr besteht durchaus, weil Medienmacher zu sehr meinen, sie würden in einer Aufmerksamkeitsökonomie überleben müssen.
Nein, wir leben in einer Wertegemeinschaft und einer Caring & Sharing Economy. Die Menschen fragen zunehmend nach dem „warum?“ und suchen nach moderner Sinngebung und „social responsibility“. Menschen haben ein Ur-Bedürfnis auch nach altruistischen und verbindenden Elementen. Sehnsucht nach Gemeinschaft gibt es immer in Angst- und Notsituationen. Es gibt eine weitere Sehnsucht, die Sehnsucht zu sehen wie Egoismen enttarnt werden, wie das Gute über das Böse siegt, die Wahrheit über die Lüge und die Weisheit über die Dummheit.
Der Sinn der Medien, die dem Qualitätsjournalismus verschrieben sind, ist es, ein Bewusstsein für gemeinschaftliche Werte, einen Charakter und eine innere Haltung zu vertreten. Das mag ja auch faktisch in der ein oder anderen Ausgabe resp. Artikel sein, aber ich glaube, die Menschen spüren das nicht mehr, sie nehmen es nicht mehr wahr. Die einzelne Medienmarke kann das nicht mehr vermitteln.
Medienmacher stecken zu sehr im alten Product-Centricity-Ansatz: Produziere ein Informations- und Unterhaltungsbouquet und suche Menschen, die das gegen Geld lesen wollen. Falsch.
Richtig ist der zeitgemäße Customer-Centricity-Ansatz: Erfasse mit Empathie die Bedürfnisse, Emotionen und Motive der Menschen und gib ihnen einen feststehenden „Nordstern“ mit, an dem sie sich orientieren können.
Die Leser wollen nicht allein rationale und kognitiv nachvollziehbare Argumente für die Vernunft, sie wollen Emotionen spüren. Argumente führen zu Schlussfolgerungen, aber Emotionen führen zum Handeln – auch zum Kauf von Medien.
Ist Online-Werbung einfach? Nein. Sollte sie aber.
Als ich hier vor wenigen Tagen das Advertising Bullshit Bingo in der aktuellen digitalen Version vorgestellt habe, da habe ich noch gelacht. Den Marketers habe ich empfohlen sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das Lachen ist mir vergangen. Warum?
Marketing ist eigentlich ganz einfach – am grünen Tisch jedenfalls. Es beinhaltet 5 Aufgaben:
- Entwickle laufend neue Produkte und Dienstleistungen für die (potentiellen) Kunden.
- Pflege und überarbeite diese Produkte und Dienstleistungen permanent.
- Führe die Marke professionell und mit Gelduld.
- Gewinne laufend neue Kunden für die (neuen) Produkte und Dienstleistungen.
- Pflege und binde die gewonnen Kunden dauerhaft.
Die Produkte sollten mit guten Markengeschichten versehen werden (Brand Experiences), um sie den potentiellen Kunden schmackhaft zu machen. Und die potentiellen Käufer sollte ich zu meine Produkten hinführen. Das geht in Zukunft immer mehr über Online-Marketing und das, was Big Data genannt wird. Diese Erkenntnis ist ja schon einige Jahre alt. Aber wie steht es um die Umsetzung?
Schauen wir uns die Nettowerbeerlöse laut ZAW für 2012 an, dann ist der Anteil mit hochgerechnet 1,1 Mrd. Euro und ca. 6% Erlösanteil an den insgesamt 18,4 Mrd. Euro der gesamten Werbung sehr, sehr überschaubar.
Die Bedeutung des digitalen Marketings und die realisierten Werbenettoerlöse passen nicht zusammen.Woran liegt das? Bei der Suche nach einer Antwort ist mir das Lachen – siehe oben – vergangen. Zwei ernsthafte Antworten habe ich gefunden.
1. Komplexe Fachbegriffe
Eine Ursache ist sicher die totale Komplexität dieser Thematik, über die ich mich im Advertising Bullshit Bingo etwas lustig gemacht habe. Und diese Komplexität steckt schon in der Sprache.
Der Onlinevermarkterkreis OVK im BVDW listet in seinem Glossar die 150 wichtigsten (sic!) Fachbegriffe auf. Vielen werbetreibenden Unternehmen wird von den Online-Experten vorgehalten, sie würden die Mechanik noch immer nicht richtig verstehen und nutzen. Es wird ihnen aber auch richtig schwer gemacht. Es reicht schon dem allgemeinen Marketing Buzzwording zu folgen, aber die Online-Fachtermini nehmen fast täglich zu. Zum einen weil der technologische Fortschritt in der IT das befördert, zum anderen, weil immer neue Kanäle, wie Mobile und Car Communications hinzu kommen.
Ich halte es für eine wichtige Aufgabe der Verbände, der Marktführer auf seiten der Publisher und der Agentur- sowie Technologie-Dienstleister das Vokabular auf das Wichtige zu beschränken. Denn das haben viele Menschen nach der Finanzkrise gelernt: Kaufe nichts, das du nicht wirklich verstehst.
2. Komplexes Ecosystem
Und damit bin ich bei der zweiten Antwort angekommen. Das folgende Kunstwerk versucht alle Beteiligten im System der Publisher und Werbetreibenden zu sortieren:
Dazu dürften in den vergangenen drei Jahre etliche weitere hunderte Dienstleister hinzu gekommen sein. Selbst den in der Regel gut ausgebildeten und erfahrenen Marketingleitern und CMO’s dürfte es schwer fallen, die Substanz und Relevanz beurteilen zu können. Denn der Marketer muss sich nicht nur mit dem Advertising Ecosystem beschäftigen, sonder mit dem gesamten System. Und das schaut aktuell dann z. B. so aus:
Quelle: Scott Brinker / chiefmartec.com
Weder hat das Marketing die finanziellen Ressourcen noch die Manpower die Technologien in der Praxis so sinnvoll einzusetzen, wie es angebracht wäre. Das mag für den ein oder anderen globalen Top-Konzern noch funktionieren, aber schon unterhalb der Champions League, wird es schwierig.
Wenn ich das mit dem einfachen Ökosystem der TV-Werbung vergleiche, auf deren Performance ich mich einigermaßen verlassen kann, während die Online-Vermarkter Community regelmäßig neue Währungen entwickeln, dann wundert mich nicht, dass es Berührungsängste gibt, was die Vergabe signifikanter Budgets angeht.
Die Online- und Social Media-Vermarkter sollten sehr selbstkritisch mit der Tatsache umgehen, dass sie alle im gleichen Boot sitzen. Sie sollten massiv an der Einfachheit und Transparenz ihrer Geschäftsmodelle arbeiten.