Misstraut den Agenturen
Wenn ich so die aktuellen Wirtschafts- und Fachmedien und deren Berichterstattung über die Gedanken, Zukunftserwartungen und Strategien über das Marketing- und Medienbusiness der handelnden Protagonisten verfolge, dann stelle ich eine große Orientierungslosigkeit in Agenturen oder auch bei Vermarktern fest.
Heute stellvertretend: Laura Desmond, weltweite Chefin der Agentur Starcom Media Vest Group (SMG). Ein Interview mit der 48-jährigen gestandenen Mediamanagerin, die 40 Mrd. US-Dollar Mediabudget verwaltet, steht in der heutigen Ausgabe des ‚Handelsblatts‘ auf Seite 18 – leider noch nicht online (Aktualisierung: Das Interview aus dem Handelsblatt steht jetzt unter absatzwirtschaft.de).
Buzzwords und Thought Bubbles
Die Antworten von Laura Desmond sind voll mit allen Buzzwords und Thought Bubbles, die die Marketingbranche derzeit verunsichern. Hier meine Top 10 des Interviews:
- Massenkommunikation ja, aber auch Individualisierung der Kommunikation, man solle an Facebook und Twitter denken.
- „Wir haben ein „Social Television Lab“ gegründet, in dem wir beobachten, wie Konsumenten TV und Twitter parallel nutzen.“
- Die Generation Y kommuniziert anders; man arbeite kooperativ mit Twitter und Instagram an neuen Werbeformaten.
- Junge Menschen nutzen immer weniger Facebook, aber immer mehr Instagram. Dieses bietet ein enormes Wachstumspotential.
- In einem „Content-Studio“ fertigt man gemeinsam mit Yahoo Inhalte für Werbekunden an.
- Inhalte, die Markenbotschaften transportieren und in Echtzeit im Internet ausgeliefert werden.
- Werbetreibende Unternehmen wandeln sich zu Medien: „Mit unserem Content-Marketing-System ‚link.d3‘ durchsuchen wir für unsere Kunden das Internet nach relevanten Inhalten. Das ist ein großer Trend.“
- „Mediaagenturen müssen künftig beide Geschäftsfelder abbilden: die Distribution von Werbung sowie das Erstellen von Content-Marketing.“
- Agenturen müssen in Big Data investieren.
- Man müsse bei der Technologie aufpassen, dass man nicht den Menschen vergesse.
Es ist diese Mischung aus Allem und irgendwie Nichts. In diesen Gedanken und Partnerschaften mit Twitter, Facebook und Yahoo! steckt keine robuste Idee, wie man die Menschen zum Kauf von Gütern und Dienstleistungen bringen kann.
Nur mal so angenommen, mehre „Freunde“ der „Generation Y“ „unterhalten“ sich auf „Instagram“ über ihre Unterhaltungselektronik. Glaubt wirklich jemand, durch „Big-Data-Analyse“, die „Erstellung“ von „Markenbotschaften“ in einem „Content-Studio“ und die „Echtzeit-Auslieferung“ bei gleichzeitigem „Second Screening“ – natürlich in „Echtzeit“ – durch die „Realtime“-Ersteigerung von Werbeplätzen lassen sich verhaltensrelevante, also kaufrelevante Werbeinformationen platzieren? Die Betonung liegt auf „verhaltensrelevant“.
Der Onlinevermarkterkreis OVK im BVDW hat in einer Studie doch glatt festgestellt: „Ob digitale Kampagnen in Premium-Werbeumfeldern wahrgenommen werden, ist knapp zur Hälfte (47 Prozent) auf den Faktor Kreation zurückzuführen.“ Aahh ja. Die Werbewirkungsforschung hat vor 50 Jahren diese Erkenntnis auch schon gehabt (und die anderen 50% hängen mit der konkreten Wahrnehmungssituation zusammen), und man fragt sich tatsächlich, was haben diese Werbemenschen gelernt, studiert oder in der beruflichen Werbepraxis erfahren?
Wer mit der Intelligenz der Agenturen rechnet, ist im Nachteil
Misstrauen Sie diesen orientierungslosen „Experten“ und diesen „Trends“. Bilden Sie sich Ihre eigenen Gedanken, lassen sie sich nicht verunsichern. Mit einem Punkt hat Laura Desmond allerdings recht: Vergessen Sie den Menschen nicht. Aber dazu hat sie keine Ideen entwickelt.
Denn dazu braucht es Empathie, das Wissen um menschliche Bedürfnisse und Emotionen und spezielles Marketing-Knowhow für eine erfolgreiche verhaltensrelevante Umsetzung. Die Agenturen müssen dann die richtigen Andockstellen für Marken herausfinden, um konkrete Handlungs-/Kauf-Reize auszulösen. Das ist den Agenturen vor lauter Trends und Technik scheinbar abhanden gekommen.