Kennen Sie den Begriff „pizzled“? Sollten Sie.
Wer von uns kennt diese Situation nicht: Du bist in einem Gespräch und dein Gegenüber greift zum Smartphone. Da macht er irgendwas oder telefoniert. Auf jeden Fall hört er nicht mehr zu und ist nicht mehr bei der Sache, sondern sein Geist ist woanders. Anderes scheint wichtiger oder er ist schlicht gelangweilt.
Wie fühlen Sie sich dabei?
Genau. Sie sind verwirrt und stinksauer. Sollten sie zu denjenigen gehören, die selber im Gespräch zum Smartphone greifen, dann versuchen sie es mal mit Empathie.
„Pizzled“ ist eine Wortkombination aus „puzzled“ (verwirrt) und „pissed off“ (stinksauer).
Kommen wir zum Marketing der Aufmerksamkeitsökonomie.
Auch da fühle ich mich häufig „pizzled“, wenn ich merke, ein Unternehmen dessen Kunde ich bin, ist nicht bei mir. Und das Gefühl habe ich ja nicht nur bei Dienstleistern oder einzelnen Mitarbeitern, die nicht bei der Sache sind oder sich zwischendurch mit etwas anderem beschäftigen. Sollte nicht sein, gibt’s aber im realen Leben.
Viel verwirrter und missmutiger bin ich, wenn eine Marke nicht mehr bei der Sache ist, die sie in Ihrem Markenkern verspricht. Neben den Marketingbegriffen wie „Bedürfnis“ oder „Zielgruppe“ sind die Begriffe „Kundenzufriedenheit“, „Kundenorientierung“ oder gar als Steigerungsform „Customer Centricity“ die Buzzwords, von denen jeder immer häufiger und intensiver spricht. Besonders gerne auf Webseiten, in Interviews, auf Podien. Und natürlich sind die Mitarbeiter immer das „wichtigste Potential“, die „bedeutsamste Ressource“. Deswegen müssen sie in jeder zweiten Marketingkampagne herhalten. „Fack ju Werbesprech“, denke ich dann ohne es auszusprechen.
Ich verzichte auf die ganzen Negativbeispiele von Marken, die ihre versprochenen Markenwerte nicht einhalten und dessen (potentielle) Kunden – sprich Menschen – so dauerhaft pizzled sind, dass sie sich abwenden. Die einen versprechen Leistung aus Leidenschaft, die anderen leben oder lieben sich selbst, die Nächsten sind schlicht das Beste oder nonstop you, äh me, usw.
Diese Marken suchen nach Aufmerksamkeit am Markt durch vollmundige Versprechen, zu laute Versprechen, durch schreiende Werbung oder wenn gar nichts mehr geht – Sex sells ever, Rabatte auch.
Mindfulness based Marketing statt Attention Tracking.
Achtsamkeit statt Aufmerksamkeit ist die richtige Marketingdenke. Wenn sich eine Marke auf die Märkte begibt, dann sollt sie zuerst achtsam zuhören oder mit Achtsamkeit beobachten. Nicht gleich bewerten, sondern in Erfahrung bringen, was dem Kunden wirklich am Herzen liegt und ihn emotional berührt. Sie sollten mit den Menschen, die ihre Zielgruppe ausmachen, achtsam kommunizieren. Das gilt für alle Produkte, auf allen Kanälen und allen Touchpoints, egal ob im persönlichen Kontakt oder über Paid, Earned und Owned Media.
„To mind“ heißt auf deutsch „achten“ oder „achtsam“. Wer auf etwas achtet der passt auf, ist aufmerksam. Achtsamkeit oder Mindfulness ist eine Form der Aufmerksamkeit. Es ist mehr als Konzentration, es ist ein offenes Gewahrwerden gegenüber Menschen oder Dingen. Und es ist eine Persönlichkeitseigenschaft, denn Empathie und Einfühlungsvermögen sind menschliche Eigenschaften. Und die gelten auch für Marken, wenn diese sich als eine Markenpersönlichkeit verstehen. Und selbstverständlich müssen diese Eigenschaften dann auch in der Unternehmenskultur und den Mitarbeitern verankert sein, denn sie sind ja ein Verhalten, das Vertrauen schaffen und dauerhafte Beziehungen herstellen soll.
Nach Branding und Employer Branding ist Behavior Branding die Floskel, mit der die Berater derzeit dozieren und durch die Unternehmen ziehen. Es beschäftigt sich mit der Markenführung nach Innen. Vielleicht sollten die Berater als erste eine interne „Achtsamkeitsschule“ einführen. Sie zeigt den Mitarbeitern, wie man Achtsamkeit trainieren kann. Durch tägliches Meditieren etwa oder auch Yoga und ähnliche Methoden. Es gilt dann im Umgang mit seinen Kunden einen vorübergehenden Zustand (state), oder besser, einen überdauernden Zustand (traite) herzustellen, der eine Geisteshaltung wiederspiegelt.
Die alte Aufmerksamkeitsökonomie, wie sie die Marketing Community viel zu lange propagiert hat, ist eine Sackgasse. Deswegen verweigern sich die Menschen auch dem ganzen Werbebullshit, der Ihnen online wie offline ein paar tausend Mal am Tag begegnet. Deswegen ist der Wendekreis am Ende der Sackgasse auch schon erreicht.
Die Zukunft liegt im Mindfullness based Marketing. Dann sind auch die Kunden wieder achtsam, in dem sie auf die Marke achten, die ihnen angeboten wird. Eine Erkenntnis, die den Verhaltensforschern und Neuroscientists schon längst bekannt ist. Orientierungsreaktionen in der Wahrnehmung kommen dann zustande, wenn dem Menschen etwas wichtig und relevant ist und wenn ihm eine Belohnung winkt. Alles andere geht unter im Partygebrüllgeschwätz der Märkte, auf denen sich die Menschen schon die Ohren zu halten müssen, um dem Terror des billigen Konsums zu entkommen.
Das Marketing ist auch deswegen aus der Balance geraten, weil es sich zu sehr damit beschäftigt technologisch Botschaften an den Mann oder die Frau oder die Kinder (Schulmarketing #wtf) zu bringen. Mit Marketing-Technologie allein – dazu zählt von CRM bis SEO, von SEM und RTB oder von CpC und SMM alles was sich automatisieren lässt – kann der Mensch nicht überzeugt werden.
Wer meditiert, merkt schnell das er zufriedener wird. Das sollte doch auch für Kunden, Mitarbeiter und die Unternehmen möglich sein. Damit niemand mehr pizzled ist.