Ist die Zeitungskrise eine Sinnkrise?
In Zeiten großer Krisen (9/11, Iran-, Irak-, Afghanistankriege, Falklandkonflikt, Wende usw.) stieg die Nachfrage nach Nachrichten und Informationen über das politisch-wirtschaftlich-kulturelle Klima. Zeitungen ging es gut, Nachrichtensender entstanden.
Die Krisen der jüngeren Vergangenheit wie auch die aktuellen, führen anscheinend nicht zu krisenkonjunkturellem Wachstum von Auflagen der Zeitungen und auch die Nachrichtensender glänzen nicht mit höheren Sehbeteiligungen.
Liegt das nur an der Popularität digitaler Medien?
Krisenzeiten sind Zeiten der Angst: mein Leben, mein Geld, mein Familie? Die ältere Generation wird Flashbacks bekommen. Die Jüngeren sagen sich vielleicht „does not effect me“ und überfliegen die Kriegsgebiete „ab-in-den-Urlaub“. Und die Unternehmer heucheln mit Arbeitsplatzverlust und dem Verlust der Innovationsfähigkeit, wenn Kriegswaffenexporte in diese Krisengebiete on hold gestellt werden.
TTIP und TISA? NSA und Datenklau? In der Breite der Bevölkerung stellt man Schulterzucken fest und eine „hab-nichts-zu-verbergen“-Einstellung, Psychoanalytiker würden von „Verdrängung“ sprechen.
Die EU driftet auseinander, behutsam aufgebaute Bündnisse Richtung Russland und Eurasien zerfallen im Tagesrythmus.
Angst und Furcht begegnet der Mensch auf natürliche Art mit dem Fight-Flight-Freeze-System. Derzeit erscheint es mir, als würde alles im Gewohnten erstarren. Dabei steht das Wertesystem der europäischen Kultur und damit der Werttreiber des westlichen Wohlstands auf dem Spiel.
Und die großen Leitmedien? Scheinen mit sich selbst beschäftigt zu sein: Spiegel, KaiBILDmann, FAZ.
Frank Schirrmacher, wie vermisse ich Dich. Nicht weil ich immer mit Dir konform gegangen bin, aber weil Du etwas verkörpert und in Deinem Schaffen ausgelebt sowie kommuniziert hast: Sinn und Werteorientierung. Vielleicht ist es das, was die Menschen bei den Medien vermissen. Sinn, Werte und Haltung sind die Attribute, die in einer Medienmarke und ihrer Markensubstanz stecken.
Das gute Image einer Medienmarke entsteht aus der selbst gewählten Identität mit den damit verbundenen Werten, den daraus folgenden glaubwürdigen Handlungen und Haltungen sowie der Integrierbarkeit in aktuelle und allgemein gültige Normen und Werte einer Gesellschaft. Der Journalismus sollte sich dessen wieder besinnen.
Der postmoderne Mensch steckt in seiner ICH-Orientierung und einer entgrenzten gleichwohl fiktiven Wirklichkeit fest. Alles kann, nichts muss. Der Mensch bastelt sich sein Leben täglich wie es ihm gefällt. Aber das ist knapp unter der Wasseroberfläche der seelischen Tiefe. Weiter unten brodeln natürlich noch die Uremotionen der Furcht, Wut oder Trauer: Zu besichtigen in den täglichen Bildern aus Gaza, Ostukraine, Syrien oder dem Irak. Und mit diesen Emotionen brodelt auch das Bedürfnis nach Sicherheit, Schutz und Fürsorge. Alle Menschen haben eine Sehnsucht nach einem guten Zusammenleben in der Gemeinschaft, gleichwohl wissen sie, das andere Menschen Segen und Fluch zugleich sind.
Das menschliche Basismotiv nach Sicherheit ist verbunden mit dem Streben nach Geborgenheit und Stabilität. Angst und Unsicherheit will man vermeiden. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis nach Fürsorge; das kann man bei denen beobachten, die in ihrer Heimat gerade Verwandte und Freunde verlieren oder in Not sehen.
Um es klar zu sagen: Medien sollen keine unnötigen Ängste schüren. Diese Gefahr besteht durchaus, weil Medienmacher zu sehr meinen, sie würden in einer Aufmerksamkeitsökonomie überleben müssen.
Nein, wir leben in einer Wertegemeinschaft und einer Caring & Sharing Economy. Die Menschen fragen zunehmend nach dem „warum?“ und suchen nach moderner Sinngebung und „social responsibility“. Menschen haben ein Ur-Bedürfnis auch nach altruistischen und verbindenden Elementen. Sehnsucht nach Gemeinschaft gibt es immer in Angst- und Notsituationen. Es gibt eine weitere Sehnsucht, die Sehnsucht zu sehen wie Egoismen enttarnt werden, wie das Gute über das Böse siegt, die Wahrheit über die Lüge und die Weisheit über die Dummheit.
Der Sinn der Medien, die dem Qualitätsjournalismus verschrieben sind, ist es, ein Bewusstsein für gemeinschaftliche Werte, einen Charakter und eine innere Haltung zu vertreten. Das mag ja auch faktisch in der ein oder anderen Ausgabe resp. Artikel sein, aber ich glaube, die Menschen spüren das nicht mehr, sie nehmen es nicht mehr wahr. Die einzelne Medienmarke kann das nicht mehr vermitteln.
Medienmacher stecken zu sehr im alten Product-Centricity-Ansatz: Produziere ein Informations- und Unterhaltungsbouquet und suche Menschen, die das gegen Geld lesen wollen. Falsch.
Richtig ist der zeitgemäße Customer-Centricity-Ansatz: Erfasse mit Empathie die Bedürfnisse, Emotionen und Motive der Menschen und gib ihnen einen feststehenden „Nordstern“ mit, an dem sie sich orientieren können.
Die Leser wollen nicht allein rationale und kognitiv nachvollziehbare Argumente für die Vernunft, sie wollen Emotionen spüren. Argumente führen zu Schlussfolgerungen, aber Emotionen führen zum Handeln – auch zum Kauf von Medien.