Ein Geschäftsmodell für Qualitätsjournalismus

tl;dr
Das Geschäftsmodell der Zukunft für Qualitätsjournalismus verzichtet auf Werbung. Er macht seine Journalisten zu echten Marken und erzielt Erträge durch den Access und das abgerufene Volumen von deren Beiträgen. Hinter den Branded Journalists stehen dessen Spezialthemen. Durch die Beziehung zwischen ihnen und den Lesern über soziale Medien entsteht emotionale Markenbindung. Diese Art der Markenbindung sorgt für Nachhaltigkeit. Der Leser bekommt modernen Nutzwert. Dafür ist er bereit zu zahlen.

 

Als Geschäftsmodell wird das betriebliche Leistungssystem bezeichnet, mit dessen Funktionen ein Unternehmen finanziert wird und hoffentlich Gewinn abwirft. Ein etwas anderes als das gängige Abo- und Werbemodell für Zeitungen möchte ich einmal skizzieren.

Mit den Hurra-Meldungen über den Erfolg der New York Times und dessen Bezahlmodell, z. B. im Handelsblatt, sind neue Ansätze für Paid Content abweichend vom Metered Model der NYT vorgeschlagen worden. So greift der geschätzte Stephan Dörner in seinem Online-Journalismus-Blog einen Beitrag von PaidContent.org auf, in dem es um autorenfixierte Bezahlmodelle geht. Eine Variante beschreibt z. B. eine Flatrate für alle Artikel, die von einem Autor auf einer Plattform veröffentlich werden.

Den konzeptionellen Ansatz eines Erlösmodells auf Basis von Branded Journalists – siehe dazu meinen kürzlich geposteten Blogbeitrag –  halte ich aus verschiedenen Gründen für absolut zukunftsfähig:

1. Austauschbarkeit der Inhalte klassischer Zeitungen on- und offline:
Mit der Weltoffenheit des Internets wurde die Austauschbarkeit klassischer Nachrichten und so mancher Kommentare offensichtlich. Der Nutzer klickt halt mal eben zu einem anderen Angebot und kann das feststellen. Auch Aggregatoren wie Google News machen das klar. Ein Branded Journalist der sich auf Analyse, Verifizierung, Einordnung, Meinung und andere Sichtweisen konzentriert, der kann seinen Inhalten eine persönliche Kompetenz mitgeben und dadurch eigenständig und einzigartig werden.

2. Vertrauensverlust klassischer Zeitungsangebote:
Die Transparenz des Internets und die damit verbundene Ausschaltung der Informationsasymmetrie zwischen Inhalteanbieter und Leser – z. B. über Watchblogs, Hinweise der Community oder den simplen Vergleich mit anderen Angeboten – hat das Vertrauen in die journalistische Arbeit nicht unbedingt verbessert. Aber die meisten kontinuierlichen Leser haben doch so ihre Lieblings-Journalisten, denen sie mehr Vertrauen, als dem dahinter stehenden Zeitungstitel insgesamt. Mir geht es jedenfalls so bei den von mir bevorzugten Qualitätsangeboten. Da journalistische Inhalte Vertrauens- und Erfahrungsgüter sind, kann man die tatsächliche Qualität immer erst hinterher beurteilen. Aber in allen kreativen Berufen, ob Musik, darstellende Künste, Schriftsteller etc. pp. ist es doch so, dass ich, wenn ich einmal Vertrauen z. B. zu einem Schriftsteller gefasst habe, meist die Folge-Romane ohne große kognitive Anstrengungen auch kaufe und lese, weil ich sie einfach haben will. Das ist bei CD’s von Musikern oder Filmen von Schauspielern nicht anders. Aus Markensicht eine typisches Charakteristikum einer starken Marke. Da habitualisiert sich das Kaufverhalten.

3. Qualitätsjournalismus muss ein Produkt sein:
Ich stimme Matthias Döpfner in einem seiner Punkte zu: Er sagt, ein Produkt wie eine App hat ein Anfang und ein Ende, einen Absender und einen Preis. Das brauche es für den Leser.
Content braucht also nicht nur Substanz sondern auch eine Gestaltung und eine gewisse Art der Festlegung von Umfang, von Anfang und von Ende. Damit meine ich nicht die technische Festlegung auf eine App, sondern die Wahrnehmbarkeit als Produkt durch den Nutzer. Gerade in dem nicht mehr endenden Strom von Inhalten kann die Fokussierung relevanter Inhalte durch eine Journalisten-Marke (blödes Wort, wer weiß was Besseres?), seine Themenschwerpunkte, seine Sichtweise, seine ethisch-moralische Grundhaltung, sein Schreibstil, sein Humor, sein Netzwerk und sein tiefes Wissen die Wahrnehmbarkeit durch die (potentiellen) Nutzer drastisch verbessern. Damit liefert er/sie die Orientierung, Einordnung, Sichtung, Bewertung, die von Qualitätsjournalismus erwartet wird.

4. Sinn- und Wertevermittlung:
Branded Journalists können ganz anders als persönlichkeitsarme Zeitungsmarken – ich sage nur Zombie „Westfälische Rundschau“  – Sinn, Grundwerte und Einstellungen vermitteln. „Wofür stehe ich? An was orientiere ich mich?“ Der Journalist, der diese Fragen klar beantworten und kommunizieren kann (z. B. aus meiner Sicht der hochgeschätze Stefan Niggemeier) und in seinem täglichen Wirken jedesmal auf’s neue bestätigt, der übt eine starke emotionale Anziehungskraft aus. Er bindet seine „Fan’s“, seine Community, nicht allein weil er bloggt, twittert etc., sondern weil er Sinn vermittelt und weil er eine Persönlichkeit ist. Damit bietet er einen Nutzen, der mir als Leser weiterhilft, beruflich, privat, je nach dem Thema.

5. Nur Nutzen wird bezahlt, keine Produkteigenschaften!
Der durch Branded Journalists gelieferte Nutzen hat dann einen Wert. Dafür ist der Nutzer bereit zu zahlen, siehe Andrew Sullivan. Ob Flat, ob Artikelweise oder in Mischform – die ich als eine Art Access- und Volumentarif mit monatlicher Abrechnung präferiere (ich werde dazu auch noch posten) – ist erstmal zweitrangig. Die einzelnen Journalisten und ihre Teams dahinter können auch authentisch in Communities über soziale Medien kommunizieren und mit den Followern eine Beziehung eingehen. Das geht dann bis zu den Vorschlägen, die auch im oben referenzierten PaidContent.org-Beitrag genannt werden: Diskussionsevents, Auftragsarbeiten whatever.

6. Das Beste aus zwei Welten
Die Skizze meines Geschäftsmodells „Branded Journalists“ sähe dann wie folgt aus. Unter einer zurückgenommenen Zeitungs- bzw. Contentmarke werden für die verschiedenen, strategisch sinnvollen Themenwelten Branded Journalists geführt (Verantwortung des Chefredakteurs). Der Zugang zum Markenportfolio wird über einen monatlichen, festen Beitrag ermöglicht. Innerhalb dieses Zugangs kann sich der Leser die Branded Journalists mit seinen speziellen Themen raussuchen, die ihn interessieren. Dafür zahlt er bspw. nach Artikelvolumen. Der Verlag unterstützt seine Journalisten technisch, prozessual und beim Branding sowie organisatorisch bei der Publikation von Gastbeiträgen, Büchern, Vorträgen, Moderationen, TV-Auftritte usw. Er finanziert ihm investigative Geschichten. Anders als eine One-Man/Woman-Show beim bloggen, kann der Verlag eine Mischkalkulation vornehmen und er hat (hoffentlich) finanzielle Substanz. Der Journalist kann sich ganz auf seine eigentliche Aufgabe konzentrieren, während der Blogger meist alles alleine machen muß, inkl. Akquise von finanziellen Mitteln. Der Nutzer kann dann täglich über eine Art EPG (Electronic Program Guide) schauen, welche Themen von wem veröffentlicht werden. Darüber hinaus hat er Zugang zum Archiv und sonstigen Added Values.

7. Werbeverzicht
Ich bin mit und in der Werbung groß geworden. Trotzdem bin ich der Meinung, dass ein derartiges Geschäftsmodell auf Werbung komplett verzichten sollte. Zum einen wird es keinerlei Einflussnahmen (direkt wie indirekt) mehr geben – ich erinnere mich an harte Zeiten, als das Handelsblatt von ThyssenKrupp bzw. dem Ex-Vorstand Jürgen Claassen mit nicht erfolgten Anzeigengeschäften im hohen sechsstelligen Bereich abgestraft wurde, weil sich alle im Hause Handelsblatt einig waren, sich nicht zur Marionette des Herrn machen zu lassen – zum  anderen ist der Werbeverzicht ein klares Verkaufsargument. Es verbessert die Schönheit und Ästhetik der Seiten ohne blinkende Banner, Overlays, hässlichen Google Ads bzw. anderen Intermediären oder Popup’s und legt das Werteangebot, die Value Proposition, ganz eindeutig auf die Qualität der Inhalte. Denn wer Werbung verkauft, der verkauft Reichweite, aber keine Inhalte.

8. Papier-Version
Wird der Hebel auf Online umgelegt, dann wird die Papier-Version einer Zeitung noch solange angeboten, solange es Nachfrage danach gibt. Mit der rückläufigen Zahl sollte proportional der Abo-Preis dafür erhöht werden. Papier und Zustellung sind dann eine zusätzliche Luxusvariante für alle die, die sich dem Digitalen verweigern nicht anvertrauen. Und je schneller die ganze Infrastruktur dafür weg ist, desto eher entfallen die zur Zeit noch ca. 67% aller Kosten, die durchschnittlich für Herstellung, Vertrieb und Anzeigen bei einer deutschen Tageszeitung auflaufen (Zahlen 2010 in: BDZV, Zeitungen 2011/2012, Berlin).

Der Verlag, der diesen Weg als erster geht, eine Run-Strategie mit der Flucht nach vorne verfolgt, wird sich klare Wettbewerbsvorteile erarbeiten. Er wird damit den besten Journalisten des Landes eine Perspektive geben und den Lesern endlich das bieten, was diese auch in der nach Papier-Ära verdienen: modernen Nutzwert in modernen Zeiten.

Dann, liebe Verlage, wird das auch was mit Paid Content.

09. Februar 2013 von Thomas
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