Authentizität? Bitte nicht.
Ich bin gegen Authentizität in der medialen Kommunikation.
Keine Bloggertipps ohne die Hinweise auf notwendige Authentizität des Autors in seiner Kommunikation. Kein Social Media Tipp für Influencer in dem nicht Authentizität gefordert wird. Und natürlich sollen auch Firmen in ihrer Kommunikation authentisch sein. Was heißt Authentizität? Kann man im Netz finden, z. B. hier in der Karrierebibel oder in der Wikipedia.
Ich finde, die Forderung geht nicht nur an der Realität vorbei, sondern das Gegenteil ist anzuraten: man muss so tun, als wäre man authentisch, aber es auf keinen Fall sein. Denn möchte ich wirklich authentisch wissen, was z. B. Volkswagen über seine Kunden denkt und so auch redet oder so handelt, wie es fühlt? Nein. Der Kunde möchte doch lieber seiner Illusion und Imagination entsprechend behandelt werden, möchte seinen Traum auch real erleben. Wenn die Autowerbung authentisch wäre, also echt wäre, dann würde sie lauten: „Kauf, Du Arsch!“ . Nein. Das wollen wir nicht wirklich. Lieber den unechten Traum von Freiheit und Mobilität träumen.
Hätte ein Kunde rationale Erwartungen an das echte Produkt oder den echten Autor und Produzenten, dann hätte er schlichtweg kein Interesse. Wer würde einer Influencerin folgen, wenn sie echt wäre? Boaring.
Authentisch wären Influencer nur, wenn sie ihr Inneres, ihre vermeintlich unverfälschte Natur, ungeschminkt nach aussen stülpen würden. Das wäre das Gegenteil von medialer Kultur, die im Bloggen gepflegt wird.
Als Konsument suche ich doch nach begehrenswerten Lebenssituationen, von denen ich so Träume, und die ich mit dem Kauf der Ware realisieren würde: VW Buggy, z. B. Und so sucht die Marketingwirtschaft genau die Konsumenten, die ihre „authentischen Bedürfnisse“ in dem Konsum derjenigen Produkte befriedigen, die ihnen zu einer „authentischen Identität“ verhelfen. Massenware für das individuelle Selbst.
Nicht der Absender und Anbieter muss somit authentisch sein, sondern der Empfänger und Nachfrager soll authentische Bedürfnisse haben.
Das Glauben-Machen-Spiel
Es geht um das, was der Harvard-Prof Kendall Walton das Glauben-Machen-Spiel genannt hat. Die Aufgabe der Markenkommunikation ist es, Fiktionen von einer schöneren besseren Welt, einem lustvollen Lebensstil oder einem erfolgreichem Ich zu verheißen. Das gilt für Greenpeace genauso wie für Facebook, Volkswagen oder Goldman Sachs. Entscheidend ist ja nicht die intentionale Authentizität des Autors, die er mit dem Text verbindet, sondern die Haltung des Lesers, der das Glauben möchte oder auch nicht. Natürlich ist mediale Kommunikation im Sinne des Marketings fiktional. Ein Bekenntnis zum Wahrheitsgehalt legt ein Autor von Spots oder Posts nicht ab. Oder aber er muss im Stande sein, diesen zu belegen, falls er den Inhalt non-fiktional meint.
Im Sinne Kendall Waltons sind Konsumgüter nur Requisiten für unsere Phantasievorstellungen, die von medialen Inhalten geformt und gestaltet werden. „Fiktion“ stammt vom lateinischen fictio ab, das wiederum abgeleitet ist von fingere, „formen“, „gestalten“. Und so kann mental eine andersartige Realität erlebt werden, die mehr oder weniger stark von der realen Realität abweicht. Sie kann „die Realität verändern“ sofern sie ihre eigene Realität produziert. Mädchenträume auf Instagram, Jungsträume auf Youtube oder Twitch-TV.
Wahre Authentizität spielt im Marketing und den Medien nur insofern eine Rolle, als das dieses Konsumgut tatsächlich von dem Produzenten stammt, der Urheberrechte daran hat.
Unechte Authentizität, also echte Unauthentizät ist das Gebot in der medialisierten Konsum- und Warenwelt: die Marke, der Influencer, die Corporate Identity, das Bier (wie das Land).
„Wir alle spielen Theater“, um es mit Erving Goffman zu sagen.