AdBlocker und Geschäftsmodelle der Verlage
Sitze im Zug (alles pünktlich) und habe viel Zeit. So las ich diverse Beiträge zum hitzigen Thema AdBlocker. Nach meinem gestrigen spontanen und eher emotionalen Beitrag, heute ein zweiter Post dazu. Versucht nüchtern und sachlich.
Ich bin ein Internetgewächs der frühen Stunden. Bereits seit 1994 habe ich das Thema für Tageszeitungen begleitet, selber noch in HTML 1.0 Dummies für Geschäftsführer programmiert. Gut 16 Jahre war ich in der Werbevermarktung primär von Tageszeitungen tätig. Ich erlaube mir zu wissen, wovon ich rede. Zweiseitige Märkte, also Leser- und Werbemärkte, waren eine Lizenz zum Gelddrucken für die traditionellen Printhäuser und sind es zum Teil immer noch. Die Verleger der ersten Nachkriegsstunden brauchten ja auch eine Lizenz im wahrsten Sinne. Renditen von 40% waren sicher selten, aber wohl auch nicht einzigartig.
Mit der zunehmenden Marktsättigung in den 6oiger und 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts gewann das Thema Werbung für Produkte und Dienstleistungen immer mehr an Bedeutung. Ende der 80iger Jahre setzte sich das Privatfernsehen durch. Die Anzahl der Magazintitel nahm zu, Direktwerbung stieg usw. Die Informationsüberlastung explodierte unaufhaltsam und betrug nach Berechnungen schon damals rund 95%. „Werbung muss schreien, um gehört zu werden!“ war der Ausspruch meines Marketing-Ziehvaters Werner Kroeber-Riel.
Und die Leser und Zuschauer fingen langsam an sich gegen die Werbeflut zu wehren, nachdem sich meine Generation noch in den Kinos traf, um die neuesten Cannes-Rollen zu sehen. Als Werbung noch selten und unterhaltsam war. Das Problemthema für das Fernsehen in den 90igern war Zapping. Mit dem TiVo gab es einen der ersten TV-Werbeblocker, der via Festplattenaufnahme, die Werbespots ausblendete. Damals Premiere und heute Sky warb mit „Werbefrei!“. Um sich den Mengen an ungewollter Werbung in den Briefkästen zu erwehren, gab und gibt es die Aufkleber „Werbung unerwünscht“. Und adressierte Werbung kann man noch immer über die Robinson-Liste beim DDV, Deutscher Direktmarketing Verband, abstellen lassen. Permissions sind in der adressierten Online-Werbung rechtlich vorgegeben. Jetzt ist also Online-Displaywerbung im Fokus der Kunden.
Und irgendwann, ich ahne es, wird es auch die Out-of-Home-Werbung treffen. Die Verdichtung mit Citylights und anderen digitalen oder analogen Formaten hat ein erträgliches Maß an manchen Orten schon überschritten (Flughäfen, Bahnhöfen, Citylagen). Und ehrlich: macht Fussball, Eishockey, Basketball, Handball noch Spaß zu gucken? Die Logo-Orgien auf und um das Spielfeld, den Trikots etc. nehmen dem Sport jede Ästhetik, auch den Charakter von Bestleistungen, Fairness und Sportlichkeit. Es geht schlicht um Geld. Punkt.
Zurück zu den „laut schreienden“ Werbeformaten auf Nachrichtenseiten. Einige kennen vielleicht noch die Suchmaschinen wie Lycos oder Altavista. Die waren auch vollgestopft mit Werbebannern. Und dann kam Google. Keine Banner, werbefreie, klare, einfache sauber weiße Startseite. Und ganz neue Werbeformen, die sich an Suchergebnissen orientieren. Der Kunde hatte ein im Vergleich zu Altavista völlig neues Marken- und Produkterlebnis. Und er war so begeistert, dass er Google zu dem machte, was es heute ist. Im Gegenzug akzeptiert man auch die Datensucht des Giganten. Und dann kam Facebook. Von blinkender Werbung und nervigen Layovers ist auch nichts zu sehen. Auch das ist für 1 Mrd. Menschen ein Marken- und Produkterlebnis.
Und die deutschen Verlage? Hier trifft der, sorry, alte Kalauer zu: „Bei uns steht der Leser im Mittelpunkt, aber genau da steht er im Weg.“ Werbefinanzierung ist das (noch) dominierende Geschäftsmodell. Die Logik dahinter lautet: Ich brauche für die Werbekunden Reichweite (Klickstreckenorgien uns sonstige Tricks der Branche) und geringe Kosten (schlecht bezahlte und zu wenige Redakteure), um den TKP-Anforderungen dieser nachzukommen. Und im Zweifel soll es ja auch Werbemittel geben, deren Ursprung eher nach Redaktion aussieht. Wie bekomme ich Reichweite? Am sichersten dann, wenn ich es kostenlos verteile. Wer also im Werbespiel mitspielen will, der muss die Spielregeln befolgen. Und ja, es gibt sicher Webseiten, die halten sich mit Werbeformaten und Platzierungen zurück. Aber jede nur soweit ihre Marktstärke das zuläßt. Das Inventar an Werbeplätzen im Internet steigt, die TKP’s sinken. Sinkende Preise kann ein Anbieter nur durch mehr Menge ausgleichen, aber auch das nur bedingt. Bin schon auf die HuffPO und die Auswirkungen gespannt
Ich vermisse endlich Innovationen, Brand Experience für die Leser, mehr Risiko beim Geschäftsmodell. Nicht das starre Festhalten an alten Zeiten, das Christian Jakubetz so schön beschreibt. Die Verlage haben den Leser soweit ich dabei bin immer nur halbherzig lieb gehabt. Neue Abonnenten wurden und werden mit immer höheren Rabattierungen geködert, während der treue Leser, der die Zeitung 30, 40 Jahre bereits zahlt und liest kaum wahrgenommen wird. Lag früher der Anteil der Werbeerlöse an den Gesamterlösen etwa bei 2/3 und Vertriebserlöse bei 1/3, so sind es heute höchstens nur 50:50 – Tendenz fallen.
Wer in diesem Spiel mithalten will, der sollte als Verlag 1. mehr Innovationsgeist entwickeln, 2. den Kunden ernst- und mitnehmen und 3. neue Geschäftsmodelle entwickeln und 4. ihre Marke entsprechend positionieren. Wie sowas gehen könnte, lässt sich vielleicht an De Correspondent aus den Niederlanden beobachten. Über Crowd-Funding haben die vor der ersten veröffentlichten Zeile knapp 19.000 zahlende Neugierige á 60 Euro. Und so wie die bisher auftreten und sich darstellen: einfach klasse! Ich bin gespannt, ob meine Erwartungen berechtigt sind.
Nutzer deutscher Nachrichtenseiten sollen weiter AdBlocker einsetzen. Oder – wie ich – regelmäßig die mobilen Versionen lesen, die sind fast werbefrei. Wenn die Verlage so zu Veränderungen gezwungen werden, dann ist das gut. Ich aber habe keine Lust mich als Nörgler oder als unlauter bezeichnen zu lassen. It’s the business, stupid.